CadaquésIch sitze auf meinem Balkon und genieße diesen Blick.

Gerade habe ich mein Zimmer im parkinn, Orange, für morgen gebucht und dem Mitreisenden ist klar: Die Reise geht zu Ende. Nach einem "Tag durch das heutige Spanien", von dem ich hier berichten will, bin ich in Cadaqués untergekommen, dem wunderbar gelegenen Hotel Rocamar, in dem ich schon 2001 und 2004 genächtigt habe.

Als ich gestern gegen halb elf in Benicarló losfuhr, war es sonnig und warm - ich habe erstmals das Innenfutter aus meiner Motorradjacke genommen, was sich als richtig erwies, denn die Temperatur stieg im Lauf des Tages auf über 30° C, ohne dass ich geschwitzt hätte. Spricht insbesondere für die gute Helmlüftung.

Um von Benicarló relativ zügig Richtung Norden zu kommen, gibt's eigentlich nur den Weg mehr oder minder parallel der Küste; es ist - da bin ich ganz sicher - der Verkehrsstrang schlechthin, der Spanien entscheidend mit Frankreich und damit dem Resteuropa verbindet - und Barcelona liegt an diesem Weg. Will man die Stadt nicht besuchen, wie ich, dann liegt Barcelona im Weg.

Also Autobahn oder die gestern schon erwähnte N-340 gen Norden. Ich entschied mich gegen die Autobahn, wollte eintauchen und mitschwimmen in dem Strom, der wegen der Mautgebühren die Autobahn meidet und die Nationalstraße über Tarragona wählt, wollte erleben, wie er sich um Barcelona herum mogelt, um danach wieder ohne Autobahn weiter zu kommen nach Frankreich, wo das Spielchen Mautvermeidung weiter geht.

Gesagt, getan und ich war im anderen Spanien, im heutigen Spanien, dem geschäftigen, rücksichtslosen, schmutzigen, staubigen, heißen, gigantomanen, lauten Spanien, das sprudelt und braust in ichbezogener Lebenskraft. Dieses Spanien ist so fern der Schönheit, der Gelassenheit, der Lebensfreude. Es ist das Spanien, das reich sein will und, wie die meisten anderen Länder - uns Deutsche eingeschlossen - Reichtum als materiellen Reichtum versteht, nicht kulturellen, nicht geistigen.

Ich schwamm mit, eingeklemmt zwischen Lastern, stand in langer Schlange vor Staus, die sich bei Ortsdurchfahrten vor Ampeln bildeten und hatte Zeit, die Hässlichkeit der Häuser und Betriebsgebäude entlang der Straße auf mich wirken zu lassen. Ich sah mich nicht in der Lage zu fotografieren, weil ich mich überfordert sah, das Scheußliche in Bildern zu fassen, die ausreichend hätten vermitteln können, was ich empfunden habe.

Immer wieder stieß ich auf Beispiele für den mir unerklärlichen Widerspruch zwischen Wohn- und Lebenssituationen an der Straße und denen, die als erstrebenswertes Panaorama - auch erstrebenswert für Spanier, wohlgemerkt - sozusagen paralell dieser "Straße der Hässlichkeit" wenige km östlich an der Küste zelebriert werden und als Urlaubsparadis Touristen anlocken. Tatsache ist, dass ich wirklich viele erkennbar neu errichtete Wohnhäuser - Einzelhäuser, Reihenhäuser und Wohnblocks - entlang und direkt an der N-340 - gesehen habe. Von Menschen gebaut, gekauft, gemietet, die keine Probleme mit Schmutz und Lärm haben, mit der Enge, der Belästigung durch den Verkehrsstrom. Wie kann das sein?, frage ich mich und habe keine Antwort. Nein, es ist nicht die materielle Armut, wie man vermuten könnte, eher eine Wahrnehmungsarmut, ein Empfindungsverlust als Folge des Wandels vom Sein (der stolze Spanier!) zum Haben, dem vermeintlich reichen Spanier.

Ich blieb eisern auf der N-340, obwohl immer wieder Hinweise auf Auffahrten zur Autobahn lockten - ich wollte es wissen und blieb tatsächlich bis Barcelona, wo mich der Verkehrsstrom auf die autobahnähnlichen Umgehungsstränge spülte, denen ich Richtung Girona folgte - erfolgreich, denn ich kam hinten unbeschadet und ohne Umweg wieder raus, obwohl mein Navi schon morgens den Geist aufgegeben hatte; ein Kontakt der Halterung ist vom Wackelzustand der letzten Tage in einen Strom-Totalausfall übergegangen.

Kurz vor Barcelona hatte ich noch ein kleines befriedigendes Erlebnis. Vor mir hatten sich vier Macho-Biker eingefunden auf ganz dicken Harleys. Immer wieder am Gas drehend schwebten sie donnernd auf ihrem Sound-Teppich vor mir die Straße entlang - breit gestaffelt. Zumal in den besagten Staus forderten sie mit dem wirklich raumgreifendem Sound die Aufmerksamkeit der Umgebund ein. Die Körpersprache signalisierten deutlich: Männer sind wir und wer als Mann oder gar Biker ernst genommen werden will, der muss an uns vorbei. Die Herablassung war zu riechen und hüllt mich und die neben mir in der Testorsteron-Wolke herfahrende junge Rollerfahrerin ein, die den Auftritt am Rande sexueller Übergriffigkeit wahrgenommen haben könnte.

Der letzte Stau löste sich auf und wir wurden gemeinsam durch vergleichsweise enge Kurven auf die Umgehungsstraßen geschleust und man konnte endlich wieder mal beginnen, aufzudrehen. Der aufdonnernde Sound vor mir belegte diese Lust. Meine Unterstellung, dass Harleys im Wesentlichen der Show dienen, weniger aber zum Fahren in Kurven geeignet sind, schien sich zu bewahrheiten. Das Gebrüll aus den Auspuffen nahm gemessen an der Geschwindigkeit überproportional zu und das direkt vor mir fahrende Monsterbike mit fantastischer Airbrush-Bebilderung auf Tank und Kotflügeln hatte erkennbar Probleme in den Kurven - sie kamen nicht rum, mussten das Gas zurücknehmen, die Bremslichter leuchteten auf. Ich kenne die leicht verkrampfte Körperhaltung, wenn die Kurve zu eng und die Befürchtung, nicht rum zu kommen, beherrschend wird. Dem ganzen Quartett ging es ganz offensichtlich so. Es war mir ein besonderes Vergnügen in vergleichbarer Lautlosigkeit elegant, rasant und in wunderbarer Schräglage in der nächsten Kurve an allen Vieren innen vorei zu ziehen und im Rückspiegel ihr Kleinerwerden zu beobachten.

Die Freuden eines Eunuchen.

Hinter Barcelona fand ich mich dann plötzlich auf der mautpflichtigen Autobahn und es rollte wunderbar - eine Erholung nach den Stunden zuvor und ich blieb. Noch 74 km nach Frankreich. Wenn ich weiterfahre, bin ich so gegen 20:00 Uhr in Orange. Einerseits verlockend, aber irgendwie ein sehr unbefriedigender Abschluss meiner Reise. Wo ich doch weiß, dass da rechts die Costa Brava mit wunderbarem, kurvenreichem Küstensträßchen lockt und die Verbindung von Cadaqués über Portbou hinein nach Frankreich noch vor mir läge, wenn ich jetzt abböge, jetzt, bei der nächsten Ausfahrt Figueras.

Ich säße nicht in Cadaqués, wenn ich meinem Impuls nicht nachgegeben hätte. Und weil das Wetter wunderbar ist und bleibt, das Zimmer einen traumhaften Blick von meinem Balkon bietet und die Situation gemessen am Erlebten des Tages überirdisch schön zu sein scheint, habe ich noch einen, den letzten, Ruhetag eingelegt, bevor ich morgen an der Küste entlang schlängeln werde, um mich dann irgendwo bei Perpignon oder Narbonne oder vielleicht erst Monpellier auf die Autobahn zu schmeißen und nach Orange zu fahren.

Nachdem ich unterwegs nicht fotografiert habe, hier noch ein paar Eindrücke von Cadaqués, wo bekanntlich Dalí gelebt hat. Wenn Du magst, klickst Du hier»

Und bevor ich es vergesse: Als ich Jugendlicher war gingen wir mit unseren Eltern gelegentlich Essen. Ich bestellte - sehr zum Ärger meines Vaters - immer nur Wiener Schnitzel, ein nicht sehr lernfreudiges Verhalten, wenn es um Geschmacksbildung ging. Das bringt mir gelegentlich noch immer an passender Stelle Spott ein.

Es scheint in gewisser Weise bei dieser geschmacklichen Eindimensionalität, besser vieleicht Einfalt, geblieben zu sein, allerdings auf gehobenerem Niveau - zumindest was die Kosten angeht. Ich habe hier gestern bestens gegessen und als ich nachgeschaut habe, was ich hier 2004 hier damals bestellt habe, muss ich feststellen: Alles beim alten - keine Entwicklung bei den geschmacklichen Vorlieben.

Gambas a la plancha
Gambas a la Plancha
Solomillo
Solomillo de Ternera
Gegart, wie ich es mag







auf den Punkt, wie ich es mag.
 
    Postre
Orangenfilets mit vanilleeis auf Citrusgelee

 

Track Benicarló-Cadaqués

Track Total

Benicraló - Cadaqués (19./20. Tag: Mi/Do, 09./10.05.2012 - 400km/04:00h - Etappe 10)